Samstag, 23. November 2013

Momentaufnahmen

Wirklich umfassende Berichte zu schreiben finde ich sowohl inhaltlich als auch zeitlich schwierig, Fotos habe ich noch kaum geschossen.

Bis sich das ändert: Ein paar Momentaufnahmen der letzten Tage.

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Einige Leute hier sprechen recht gut Englisch, viele jedoch nur wenige bis gar keine Brocken. Nicht einmal unser Hindibuch hilft weiter, da in Andhra Pradesh hauptsächlich Telugu gesprochen wird. Wir hatten jedoch schon ein bisschen Unterricht und haben bereits ein paar Wörter gelernt – dachte ich. In der Praxis sieht das aber leider anders aus. Hier eine kleine Episode zur Verdeutlichung meines Erfolges mit Telugu:

[Pooja bringt uns morgens zum Frühstück Toast und Marmelade (was einer Sensation gleicht!)]
ICH: Vandana lu! (Danke)
POOJA (zeigt auf den Toast): Not banana, bread!

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Religion spielt eine riesengroße Rolle hier, an jeder Ecke gibt es Tempel und Bilder von Gottheiten. Auch wir werden häufig nach unserer Religion gefragt. Eine Aussage hat uns jedoch erst einmal ziemlich umgehauen. „In my history book it says that there is only one religion in Germany, called the Nazi Party.“ Das kam von einer Lehrerin, die das ihren Schülern wohl so auch beibringt. Wir haben ihr gesagt, dass das Buch wohl ein bisschen veraltet ist.

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Neben den vielen vielen Moskitos, Ameisen und einigen Kakerlaken habe ich vor zwei Tagen das erste Mal eine Spinne gesehen. Neben meinem Bett. Wer mich schon einmal in Gegenwart einer Spinne erlebt hat, kann sich die Panik vorstellen, in die ich geraten bin. Ich kann aber voll Stolz berichten, dass ich völlig ruhig geblieben bin und sie kaltblütig in einen Briefumschlag gestoßen, diesen dann zugeklebt und weggeworfen habe. Die Spinne war übrigens circa 15 cm groß (ohne Beine), sehr haarig, grün mit roten Augen, hatte drei Stacheln auf dem Rücken und Zähne, so dick wie mein Daumen. Also ungefähr so, wie die Spinnen in Deutschland auch.

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Freitag, 22. November 2013

Erste Tage im Chaithanya Happy Home

Hier kommt nun ein kleiner Lagebericht.
Ich bin jetzt seit ein paar Tagen in Secunderabad, gemeinsam mit meiner Mitfreiwilligen Julia, die ich in Mumbai am Flughafen getroffen habe.

Momentan sind wir noch ziemlich mit Eingewöhnen beschäftigt, erfahren mehr über CMM und versuchen (bislang erfolglos), uns im Foreigner Registration Office registrieren zu lassen. Trotzdem verbringen wir natürlich schon Zeit mit den Mädchen, wobei wir sie eigentlich nur abends sehen, da sie bis um vier Uhr in der Schule sind und nur Sonntags frei haben.

Die Mädchen sind unglaublich süß, aber auch unglaublich anstrengend. Es ist praktisch unmöglich, sich nur mit einer oder nur mit einer kleinen Gruppe zu beschäftigen. Sobald wir uns auf den Boden setzen, stehen drei Mädchen vor uns, die uns ihre Hefte zeigen wollen, zwei fangen an unsere Haare zu flechten, drei krabbeln uns auf den Schoß, zwei streicheln und küssen uns die Wangen oder fummeln an unseren Füßen herum. Die anderen reißen sich um die Gitarre und sind nun mal sehr sehr sehr laut und sehr sehr sehr lebendig und wollen sehr sehr sehr viel Zuwendung. Das ist natürlich eigentlich toll. Nur eben auch anstrengend, immerhin sind es 25 Mädchen.
Zwei davon sind recht neu, sehr schüchtern (im Gegenteil zu ausnahmslos allen anderen) und noch kaum integriert. Die Mädchen sind Kinder Prostituierter, keines hat einen Vater und viele auch keine Mutter mehr. Alle waren der Prostitution in irgendeiner Form ausgesetzt, entweder als Zeugen der Arbeit ihrer Mütter oder aber auch selbst in die Arbeit als Prostituierte hineingeboren. So unglaublich fröhlich wie sie sind, ist mir oft kaum bewusst, dass da schwer traumatisierte Kinder vor mir stehen. Es ist schön zu sehen, wie liebevoll alle miteinander umgehen, sich zwar oft in die Haare kriegen, aber danach auch wieder gegenseitig trösten. Die Älteren sorgen für die Jüngeren und übersetzen, wenn die Kleinen uns nicht verstehen.

Auch Pooja, die hier ebenfalls wohnt und den wohl entzückendsten Sohn hat, den man sich vorstellen kann, wurde aus der Prostitution und vor ihrem Zuhälter gerettet. Sie kennt ihr Alter nicht, ist aber sicherlich nicht älter als wir.
Sie hilft uns sehr viel und ist wahnsinnig nett, nur mit der Kommunikation ist es etwas schwierig, da sie fast kein Englisch spricht und unser Telugu ist... Naja, sagen wir, es befindet sich noch im Anfangsstadium. Pooja bringt uns das Essen und würde auch sonst alles tun, wir konnten uns gerade so das Recht erkämpfen, selbst abzuspülen und zu fegen. Alle sind so freundlich und zuvorkommend und wollen, dass wir uns wirklich wohl fühlen - wir möchten aber natürlich nicht mehr als unbedingt nötig zur Last fallen. Ich glaube nicht, dass uns irgendjemand sagen würde, wenn ihm irgendetwas an uns und unserem Verhalten nicht passt.

Wir haben jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn wir die Berge an Essen, die wir bekommen, nicht aufgegessen haben – wir werden auch ständig gefragt, ob es uns denn nicht schmecken würde. (Doch, tut es, sehr sogar. Chapati, Reis, Reis, Masala, Daal, Reis. Alles schaaaaaarf. Aber es lässt sich aushalten und schmeckt immer super. Bis auf irgendeine komische Süßspeise, die wohl noch vom Erntedankfest ist und dementsprechend ranzig schmeckt.) Durchfall haben wir jedenfalls, entgegen aller Prognosen, noch nicht bekommen und das ist auch wirklich gut so.

Wir haben hier nämlich keine Toilette, sondern nur ein Loch. Ohne Spülung und anfangs auch noch ohne Klopapier. Letzteres haben wir mittlerweile gekauft, benutzen aber dennoch meistens Wasser, weil das Klopapier im Mülleimer auch nicht die hygienischste Lösung ist. Ein Eimer und ein Wasserhahn ersetzen auch die restlichen sanitären Anlagen. Das stört mich aber weniger, als ich gedacht hätte. Was nicht heißen soll, dass ich nicht gerne mal wieder auf einer Schüssel mit Spülung sitzen oder auch einfach nur duschen würde.

Wovon ich am ersten Abend viel eher dachte, dass ich es nicht lange aushalten würde, ist der Lärm. Die erste Nacht habe ich, natürlich auch Jetlag bedingt, nur sehr schlecht geschlafen. Wir haben kein Glas, sondern nur ein Fliegengitter vor dem Fenster - und einen Bahnhof. Ich hatte mich immer über die Abkürzung "behind „Rlw Stn“" in der Adresse gewundert - jetzt weiß ich, wofür sie steht: "Behind Railway Station", ich hätte es mir denken können. Direkt vor unserer kleinen Wohnung laufen die Leute über eine Treppe zum Bahnsteig. Und die einfahrenden und hupenden Züge sind wirklich verdammt laut. Müdigkeit macht jedoch taub und so schlafe ich mittlerweile sehr gut.

Das werde ich jetzt übrigens auch machen und all die Eindrücke, von denen ich bald noch erzählen werde, ein bisschen in meinen Träumen verarbeiten.