Hier kommt nun ein kleiner
Lagebericht.
Ich bin jetzt seit ein paar Tagen in
Secunderabad, gemeinsam mit meiner Mitfreiwilligen Julia, die ich in
Mumbai am Flughafen getroffen habe.
Momentan sind wir noch ziemlich mit
Eingewöhnen beschäftigt, erfahren mehr über CMM und versuchen
(bislang erfolglos), uns im Foreigner Registration Office
registrieren zu lassen. Trotzdem verbringen wir natürlich schon
Zeit mit den Mädchen, wobei wir sie eigentlich nur abends sehen, da
sie bis um vier Uhr in der Schule sind und nur Sonntags frei haben.
Die Mädchen sind unglaublich
süß, aber auch unglaublich anstrengend. Es ist praktisch unmöglich,
sich nur mit einer oder nur mit einer kleinen Gruppe zu beschäftigen.
Sobald wir uns auf den Boden setzen, stehen drei Mädchen vor uns,
die uns ihre Hefte zeigen wollen, zwei fangen an unsere Haare zu
flechten, drei krabbeln uns auf den Schoß, zwei streicheln und
küssen uns die Wangen oder fummeln an unseren Füßen herum. Die
anderen reißen sich um die Gitarre und sind nun mal sehr sehr sehr
laut und sehr sehr sehr lebendig und wollen sehr sehr sehr viel Zuwendung. Das ist natürlich eigentlich toll.
Nur eben auch anstrengend, immerhin sind es 25 Mädchen.
Zwei davon sind recht neu, sehr
schüchtern (im Gegenteil zu ausnahmslos allen anderen) und noch kaum integriert. Die Mädchen sind Kinder Prostituierter, keines hat einen Vater und
viele auch keine Mutter mehr. Alle waren der Prostitution in
irgendeiner Form ausgesetzt, entweder als Zeugen der Arbeit ihrer
Mütter oder aber auch selbst in die Arbeit als Prostituierte
hineingeboren. So unglaublich fröhlich wie sie sind, ist mir oft
kaum bewusst, dass da schwer traumatisierte Kinder vor mir stehen. Es
ist schön zu sehen, wie liebevoll alle miteinander umgehen, sich
zwar oft in die Haare kriegen, aber danach auch wieder gegenseitig
trösten. Die Älteren sorgen für die Jüngeren und übersetzen,
wenn die Kleinen uns nicht verstehen.
Auch Pooja, die hier ebenfalls wohnt
und den wohl entzückendsten Sohn hat, den man sich vorstellen kann,
wurde aus der Prostitution und vor ihrem Zuhälter gerettet. Sie kennt ihr Alter nicht, ist aber sicherlich nicht älter als wir.
Sie hilft uns sehr viel und ist
wahnsinnig nett, nur mit der Kommunikation ist es etwas schwierig, da
sie fast kein Englisch spricht und unser Telugu ist... Naja, sagen wir, es
befindet sich noch im Anfangsstadium. Pooja bringt uns das Essen und
würde auch sonst alles tun, wir konnten uns gerade so das Recht
erkämpfen, selbst abzuspülen und zu fegen. Alle sind so freundlich
und zuvorkommend und wollen, dass wir uns wirklich wohl fühlen - wir
möchten aber natürlich nicht mehr als unbedingt nötig zur Last
fallen. Ich glaube nicht, dass uns irgendjemand sagen würde, wenn
ihm irgendetwas an uns und unserem Verhalten nicht passt.
Wir haben jedes Mal ein schlechtes
Gewissen, wenn wir die Berge an Essen, die wir bekommen, nicht
aufgegessen haben – wir werden auch ständig gefragt, ob es uns
denn nicht schmecken würde. (Doch, tut es, sehr sogar. Chapati,
Reis, Reis, Masala, Daal, Reis. Alles schaaaaaarf. Aber es lässt
sich aushalten und schmeckt immer super. Bis auf irgendeine komische
Süßspeise, die wohl noch vom Erntedankfest ist und dementsprechend
ranzig schmeckt.) Durchfall haben wir jedenfalls, entgegen aller
Prognosen, noch nicht bekommen und das ist auch wirklich gut so.
Wir haben hier nämlich keine Toilette,
sondern nur ein Loch. Ohne Spülung und anfangs auch noch ohne
Klopapier. Letzteres haben wir mittlerweile gekauft, benutzen aber
dennoch meistens Wasser, weil das Klopapier im Mülleimer auch nicht
die hygienischste Lösung ist. Ein Eimer und ein Wasserhahn ersetzen
auch die restlichen sanitären Anlagen. Das stört mich aber weniger,
als ich gedacht hätte. Was nicht heißen soll, dass ich nicht gerne
mal wieder auf einer Schüssel mit Spülung sitzen oder auch einfach
nur duschen würde.
Wovon ich am ersten Abend viel eher
dachte, dass ich es nicht lange aushalten würde, ist der Lärm. Die
erste Nacht habe ich, natürlich auch Jetlag bedingt, nur sehr
schlecht geschlafen. Wir haben kein Glas, sondern nur ein
Fliegengitter vor dem Fenster - und einen Bahnhof. Ich hatte mich
immer über die Abkürzung "behind „Rlw Stn“" in der Adresse
gewundert - jetzt weiß ich, wofür sie steht: "Behind Railway
Station", ich hätte es mir denken können. Direkt vor unserer
kleinen Wohnung laufen die Leute über eine Treppe zum Bahnsteig. Und
die einfahrenden und hupenden Züge sind wirklich verdammt laut.
Müdigkeit macht jedoch taub und so schlafe ich mittlerweile sehr
gut.
Das werde ich jetzt übrigens auch machen und all die Eindrücke, von denen ich bald noch erzählen
werde, ein bisschen in meinen Träumen verarbeiten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen