Samstag, 14. Dezember 2013

Rechtsstaat Indien

Am Mittwoch wurde vom Obersten Gerichtshof in Delhi ein Urteil von 2009 aufgehoben, das besagte, einvernehmlicher homosexueller Sex sei keine Straftat. Damit kehrt Indien wieder zur Rechtslage in Kolonialzeiten zurück, die „widernatürlichen“ Sex verbietet.

Die zahlenmäßig größte „Demokratie“ strebt zwar nach Aufstieg und Entwicklung, ist aber nicht nur unfähig, die Schwachen der Gesellschaft zu schützen, sondern macht ihren Minderheiten das Leben erst schwer. Nicht, dass rechtliche Gleichstellung irgendetwas bewirken würde, man betrachte nur das Beispiel „Frau“.

In mir kocht regelmäßig die Wut hoch, wenn wir wieder von irgendeiner Ungerechtigkeit hören, in deutscher Naivität fragen, ob da nicht die Polizei eingreife und fast schon belächelt ein „They don't care“ als Antwort bekommen. Der kleine Bruder eines der Mädchen hier, der noch bei seiner Mutter und seinem alkoholabhängigen, gewalttätigen Vater wohnte, wurde von diesem im Affekt gegen die Wand geworfen und kam so ums Leben. „Did the mother tell the police?“ „No, they wouldn't care.“ Wozu sich auch um die ohnehin sozial und finanziell Schwachen kümmern.

Und Frauen sind hier fast immer schwach. Das heißt: Sie sind unglaublich stark, wenn man sieht, was sie alles tragen und ertragen können - aber sie sind eben nicht in der Lage, sich gegen ein so mächtiges Patriarchat durchzusetzen. Zwei typische Schicksale der Mütter unserer Mädchen:

Ihr Mann stirbt. Seine Frau war immer finanziell von ihm abhängig, hat keinen Beruf gelernt, muss ihre Kinder ernähren. Sie bekommt einen Job angeboten, dieser entpuppt sich als Sexarbeit. Aus Angst vor dem mächtigen Netzwerk und mangels einer Alternative muss sie die Prostitution hinnehmen.

Ihr Mann ist alkoholabhängig und gewalttätig. Er zwingt seine Frau, sich zu prostituieren. Aus Furcht, weil eine Scheidung undenkbar ist und um ihre Kinder zu ernähren, läuft sie nicht davon. Die Kinder hungern trotzdem, da ihr Vater das Geld vertrinkt.

Die Prostituierten wurden nicht nur meist zur Sexarbeit gezwungen, sie sind häufig auch Gewalt ausgesetzt, seitens der Kunden oder Zuhälter. An die Polizei wenden können sie sich dennoch nicht, weil sie Gefahr laufen würden, selbst im Gefängnis zu landen. Prostitution ist in Indien zwar legal, jedoch nur eingeschränkt. So wie ich das verstanden habe, kann eine Prostituierte zum Beispiel dafür bestraft werden, Kunden anzuwerben. Ohne eigene Erfahrung auf diesem Gebiet zu haben würde ich einfach mal behaupten, dass das zur Prostitution aber irgendwie dazugehört. Im Endeffekt heißt das dann wohl einfach, dass Prostituierte kaum eine Chance haben, als Opfer wahrgenommen zu werden, zumal die weitverbreitete Meinung ist, sie gingen ohnehin aus Geldgier oder wegen ihrer sexuellen Gelüste anschaffen – auf jeden Fall aber aus freiem Willen.

Den Mädchen, die jetzt hier im Chaithanya Happy Home untergekommen sind, hätte ähnliches geblüht wie ihren Müttern, viele haben bereits am eigenen Leib Gewalt, Prostitution und Vergewaltigung erleben müssen. Sie bekommen hier eine ordentliche Schulbildung und werden die Chance haben, zu studieren oder einfach einen guten Beruf zu erlernen. Wenn ich dann höre, dass sie hier solange bleiben können, „bis sie verheiratet sind“, wird mir ein bisschen anders. Ich hoffe nur, dass sie ihre Bildung auch im Sinne einer finanziellen Unabhängigkeit nutzen und nicht irgendwann, in ihrer Ehe gefangen, doch wieder abhängig von den Launen irgendeines Mannes sein werden.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Unterwegs





































Die Fortbewegung auf den Straßen ist hier oft nicht gerade angenehm, was vor allem den Abgasen, dem vielen Staub und dem wahnsinnigen Lärm geschuldet ist. Dennoch laufen wir gerne einfach in der Gegend herum, in der Hoffnung, uns irgendwann auszukennen im Stadtgewirr und weil es an jeder Ecke unglaublich viel zu sehen gibt.

Ich würde am liebsten ununterbrochen Fotos schießen, so fotogen finde ich, was sich auf den Straßen abspielt. Alles ist schmutzig, staubig, oft verfallen. Doch dann wiederum wachsen die schönsten Sträucher und Bäume zwischen den ausgeblichenen Häusern, Bretterbuden sind mit Girlanden oder den hübschen Marigoldketten, die an vielen Ständen verkauft werden, verziert, zwischendurch ragt ein bunter Tempel aus dem schmutzigen Braun und auch abseits der Gebetsstätten finden sich häufig Abbildungen von Gottheiten, die so farbenfroh und glänzend dargestellt werden, dass sie in Deutschland als sehr, sehr kitschig gelten würden.
Und auch wenn es den Gestank und die Armut niemals wettmachen und verdecken kann, freue ich mich doch jedesmal an all diesen kleinen Gegensätzen im Ambiente. (Ich muss vielleicht dazu sagen, dass ich hier natürlich nicht von den wirklich armen Gegenden spreche.)

Noch lieber als zu Fuß bin ich aber mit den Autorikschas unterwegs. Der Fahrt geht zwar meistens eine zähe Verhandlung darüber voraus, ob der Taxameter nun angeschaltet wird oder der Fahrer uns gnadenlos abziehen wird.
Dann weht aber der Fahrtwind angenehm erfrischend um die Ohren und ich bewundere immer wieder, ein Tuch vor Nase und Mund gepresst, wie sich die Rikschas ihren Weg durch das Verkehrsgemenge bahnen. Regeln gibt es nämlich kaum, selbst das links vor rechts wird nur sporadisch beachtet. Lieber verschafft man sich vor einer einmündenden Straße mit der Hupe Verhör um dann, ohne abzubremsen, auf gut Glück um die Kurve zu rasen. Ein Auto ist hier ohne Hupe ohnehin nicht zu gebrauchen, da sie Blinker und Bremse ersetzt.
Ebenso ist auch die Anzahl der Sitze pro Gefährt allerhöchstens ein nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag des Herstellers. Die 25 Kinder hier werden jeden Morgen samt der dicken Schultaschen in einem Fünfsitzer in die Schule kutschiert. Anschnallgurte sucht man meist vergebens.
Dabei wundert es mich fast, dass wir noch nie Zeugen eines Unfalls geworden sind, so haarscharf wie wir Zusammenstößen häufig entgehen.




Samstag, 7. Dezember 2013

Das HIV-Monster





































Am 1. Dezember war World AIDS Day.
Uns war gesagt worden, wir würden an einer Rallye teilnehmen, die sich dann aber als eine Art Protestmarsch herausstellte. Eine Gruppe Aktivisten nahm uns schnell in ihre Mitte und hat uns medienwirksam direkt an ihrem Banner platziert. Ich habe zwar keine Ahnung, was wir im Chor geschrieen haben, aber ich bin mir sicher, ich habe nichts gesagt, was ich nicht auch auf Deutsch gerufen hätte. Für Prävention! Gegen Diskriminierung! Das müssten so ungefähr die Aussagen gewesen sein.

Dann kamen wir am Veranstaltungsort an, ein riesiges Festzelt mit einer Menge Plastikstühlen und einer auffälligen Sitzordnung (systematisch, da ausschließlich männlich, besetzte ersten Reihen). Wir haben uns zu den CMM Arbeiterinnen gesetzt, die fast komplett anwesend waren, weil Jayamma Bandari, der Präsidentin der Organisation, im Laufe der Zeremonie zwei Awards verliehen wurden.

Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass sie und einige der anderen Anwesenden Menschen sind, die sich sehr verdient gemacht haben um den Kampf gegen AIDS, haben wir uns zunehmend unangenehm berührt gefühlt, als mehr und mehr Leute Fotos von uns schießen wollten, obwohl wir ja eigentlich nur relativ unbeteiligte Anwesende waren.

Das ist hier jedoch ohnehin ein ausgeprägtes Phänomen, ständig wollen wildfremde Menschen Fotos mit uns machen, manche fotografieren uns im Vorbeigehen oder wollen Fotos von uns neben einem Plakat ihrer Firma. Wer wir sind oder was wir hier machen, das weiß keiner so richtig und das fragen auch nur wenige nach. Dass wir nur zwei unerfahrene junge Mädchen aus Deutschland sind ist aber auch völlig egal, für uns spricht unsere Hautfarbe! Das war anfangs noch komisch, bald unangenehm und mittlerweile nervt es mich richtig und macht mich fast wütend.

Natürlich liegt das daran, dass es hier kaum Touristen gibt und wir immer und überall auffallen. Dennoch muss ich mir immer wieder vorstellen, wie ich in Deutschland einfach zu einem Inder renne und mich neben ihn stelle, um ein Foto von ihm zu machen - lediglich, weil seine Hautfarbe so lustig ist.



Den Gipfel der Lächerlichkeit allerdings erreichte das Ganze am Dienstag auf einer weiteren Veranstaltung, die aber im Grunde sehr ähnlich ablief:
Das für unsere Augen merkwürdige Programm bestand vor allem aus Schaustellern, die die Geschichte rund um Aids in Tanz, Gesang und Spiel vortrugen (das wurde uns zumindest gesagt, da es auf Telugu war, haben wir natürlich nichts verstanden). Außerdem traten traditionelle Tänzerinnen auf, es gab Schülerdarbietungen, einen rotbärtigen Zauberkünstler mit beeindruckend unbeeindruckenden Tricks, einen Tänzer, der sicherlich irgendwo auf Youtube bereits das Gespött Tausender ist, ein indischer Justin Bieber, der eine Art Robotdance zum Besten gab. Zwischendurch Reden und Witze.

Ausgetragen wurde das Ganze dieses mal von World Vision, es ging um die Verabschiedung eines Gesetztes bezüglich der Unterbindung der Diskriminierung HIV Positiver. Viel mehr wussten wir tatsächlich auch gar nicht darüber, da uns erst kurz vor Beginn gesagt worden war, dass wir überhaupt zu diesem Event gehen würden.
Wir saßen jedenfalls friedlich in der Menge, blöderweise schnell verlassen von Jaya Singh (der Projektmanager, für uns zuständig und der einzige hier, der wirklich Englisch spricht), weil der plötzlich dringend mit Jayamma wegfahren musste.

Nach ein paar Stunden gähnender Langeweile – das stundenlange Programm war auf Telugu und hatte uns folglich auch nicht sehr geholfen, mehr über die Hintergründe der Veranstaltung zu erfahren – deutete eine wichtige Person (offensichtlich wichtig, da verspätet angefahren gekommen und unter Applaus hereinspaziert) mit dem Finger auf uns. Daraufhin wurden wir von einer der Organisatoren auf die Bühne gebeten. Die Menschen auf der Bühne haben alle Reden gehalten, wohl über HIV, World Vision und das zu verabschiedende Gesetz.

Die wichtige Person schließlich, die nicht wusste, woher wir kamen oder was wir überhaupt in Indien machen, hat uns herzlich dafür gedankt, dass wir der Veranstaltung die Ehre erweisen, und uns am Ende allen Ernstes jeweils eine Plakette als Auszeichnung für unser Engagement überreicht.

Dabei haben wir brav in die Kamera gelächelt und unser Bestes gegeben, ob der Skurilität der ganzen Szene nicht vor Lachen loszuprusten. Der wichtige Mann, ein Unternehmer mit politischen Ambitionen, wie wir mittlerweile herausgefunden hatten, entpuppte sich auch noch als großer Gönner, als er mehreren Schulen jeweils einen Sack Reis von lächerlicher Größe überreichte.

Anschließend wurden wir in einem sehr bequemen Auto mit indischer Flagge in das luxeriöseste Haus kutschiert, das wir hier bislang betreten haben. Dort wurde uns an einem Besprechungstisch Kaffee serviert. Mit uns am Tisch saßen NGO Leute und ein Italiener, der ebenfalls kein Telugu oder Hindi, aber auch kein Englisch sprach. Offensichtlich war auch er nur dank seines Exotikfaktors hier gelandet.
An der Wand erzählten ein Flachbildschirm und ein Plakat von der Unternehmensgruppe, deren Vorsitzender der wichtige Mann wohl war. Dabei muss es sich um eine Art Immobilienunternehmen handeln, das sich irgendwie wohltätig engagiert. Nebenbei scheint jener wichtige Mann aber auch einen Ministerposten anzustreben.

Spätestens hier ist uns gedämmert, was für eine merkwürdige Sache das da eigentlich war – irgendwie sind wir von der Veranstaltung einer NGO in eine Art Wahlkampf gerutscht.
Das hat sich für den wichtigen Mann sicher gelohnt, weil er ein paar Fotos von sich und nett lächelnden Europäern bekommen hat. Und für uns hat es sich ja schließlich auch irgendwie gelohnt, weil wir immerhin einen prächtigen goldenen Kugelschreiber als Honorierung unserer „Arbeit“ geschenkt bekommen haben.

Bevor wir das Gebäude verlassen haben, wurden wir noch zu einer Liste geführt, in die man sich wohl mit Unterschrift hätte eintragen sollen. Da sind wir dann doch lieber auf schnellstem Wege gegangen.

Sonntag, 1. Dezember 2013

Frühstück

Das erste Frühstück, das wir bekamen, bestand aus einem Topf Instantnudeln. Glücklicherweise war das aber nicht repräsentativ für das tägliche Essen hier im Waisenhaus.

In der Regel besteht das nämlich – wie könnte es anders sein – aus Reis. Meist mit Dal, was eine Art oft dünnflüssige, sehr würzige (Knoblauch!) Linsensuppe ist. Dabei wird der Reis eigentlich nur leicht benetzt mit dem Dal oder mit was es eben gibt; in Anbetracht der Intensität und Schärfe ist das sehr sinnvoll, aber ein großer Unterschied zum typisch deutschen Soße – Beilage – Verhältnis.

Es gibt auch durchaus Variationen des obligatorischen Reises, zum Beispiel in Form von Reispfannkuchen, Idli (gedämpften Reisküchlein) oder frittierten Reiskringeln, die wir zu vermeiden versuchen, seit wir einmal den Rest des Tages flach lagen, weil uns von dem Fett so schlecht war. All das wird gerne mit einer humusartigen Paste aus Erdnüssen und natürlich vielen Gewürzen gegessen.

Einmal wurde uns auch schon etwas Süßes aufgetischt – der Versuch eines westlichen Frühstücks, bestehend aus Toastbrot und einer Marmelade (100 % fruits!!!), die uns lebhaft an einen Hustensaft aus Kindheitstagen erinnert. Da esse ich dann noch lieber eine satte Portion Knoblauch zum Frühstück.

Tagesportion Reis

Eindrücke



Blick vom Balkon