Am Mittwoch wurde vom Obersten
Gerichtshof in Delhi ein Urteil von 2009 aufgehoben, das besagte,
einvernehmlicher homosexueller Sex sei keine Straftat. Damit kehrt
Indien wieder zur Rechtslage in Kolonialzeiten zurück, die
„widernatürlichen“ Sex verbietet.
Die zahlenmäßig größte „Demokratie“
strebt zwar nach Aufstieg und Entwicklung, ist aber nicht nur
unfähig, die Schwachen der Gesellschaft zu schützen, sondern macht
ihren Minderheiten das Leben erst schwer. Nicht, dass rechtliche
Gleichstellung irgendetwas bewirken würde, man betrachte nur das
Beispiel „Frau“.
In mir kocht regelmäßig die Wut hoch,
wenn wir wieder von irgendeiner Ungerechtigkeit hören, in deutscher
Naivität fragen, ob da nicht die Polizei eingreife und fast schon
belächelt ein „They don't care“ als Antwort bekommen. Der kleine
Bruder eines der Mädchen hier, der noch bei seiner Mutter und seinem
alkoholabhängigen, gewalttätigen Vater wohnte, wurde von diesem im
Affekt gegen die Wand geworfen und kam so ums Leben. „Did the
mother tell the police?“ „No, they wouldn't care.“ Wozu sich
auch um die ohnehin sozial und finanziell Schwachen kümmern.
Und Frauen sind hier fast immer
schwach. Das heißt: Sie sind unglaublich stark, wenn man sieht, was
sie alles tragen und ertragen können - aber sie sind eben nicht in
der Lage, sich gegen ein so mächtiges Patriarchat durchzusetzen.
Zwei typische Schicksale der Mütter unserer Mädchen:
Ihr Mann stirbt. Seine Frau war immer
finanziell von ihm abhängig, hat keinen Beruf gelernt, muss ihre
Kinder ernähren. Sie bekommt einen Job angeboten, dieser entpuppt
sich als Sexarbeit. Aus Angst vor dem mächtigen Netzwerk und mangels
einer Alternative muss sie die Prostitution hinnehmen.
Ihr Mann ist alkoholabhängig und
gewalttätig. Er zwingt seine Frau, sich zu prostituieren. Aus
Furcht, weil eine Scheidung undenkbar ist und um ihre Kinder zu
ernähren, läuft sie nicht davon. Die Kinder hungern trotzdem, da
ihr Vater das Geld vertrinkt.
Die Prostituierten wurden nicht nur
meist zur Sexarbeit gezwungen, sie sind häufig auch Gewalt
ausgesetzt, seitens der Kunden oder Zuhälter. An die Polizei wenden
können sie sich dennoch nicht, weil sie Gefahr laufen würden,
selbst im Gefängnis zu landen. Prostitution ist in Indien zwar
legal, jedoch nur eingeschränkt. So wie ich das verstanden habe,
kann eine Prostituierte zum Beispiel dafür bestraft werden, Kunden
anzuwerben. Ohne eigene Erfahrung auf diesem Gebiet zu haben würde
ich einfach mal behaupten, dass das zur Prostitution aber irgendwie
dazugehört. Im Endeffekt heißt das dann wohl einfach, dass
Prostituierte kaum eine Chance haben, als Opfer wahrgenommen zu
werden, zumal die weitverbreitete Meinung ist, sie gingen ohnehin aus
Geldgier oder wegen ihrer sexuellen Gelüste anschaffen – auf jeden
Fall aber aus freiem Willen.
Den Mädchen, die jetzt hier im
Chaithanya Happy Home untergekommen sind, hätte ähnliches geblüht
wie ihren Müttern, viele haben bereits am eigenen Leib Gewalt,
Prostitution und Vergewaltigung erleben müssen. Sie bekommen hier
eine ordentliche Schulbildung und werden die Chance haben, zu
studieren oder einfach einen guten Beruf zu erlernen. Wenn ich dann
höre, dass sie hier solange bleiben können, „bis sie verheiratet
sind“, wird mir ein bisschen anders. Ich hoffe nur, dass sie ihre
Bildung auch im Sinne einer finanziellen Unabhängigkeit nutzen und
nicht irgendwann, in ihrer Ehe gefangen, doch wieder abhängig von
den Launen irgendeines Mannes sein werden.
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