Das HIV-Monster |
Am 1. Dezember war World AIDS Day.
Uns war gesagt worden, wir würden an
einer Rallye teilnehmen, die sich dann aber als eine Art
Protestmarsch herausstellte. Eine Gruppe Aktivisten nahm uns schnell
in ihre Mitte und hat uns medienwirksam direkt an ihrem Banner
platziert. Ich habe zwar keine Ahnung, was wir im Chor geschrieen
haben, aber ich bin mir sicher, ich habe nichts gesagt, was ich nicht
auch auf Deutsch gerufen hätte. Für Prävention! Gegen
Diskriminierung! Das müssten so ungefähr die Aussagen gewesen sein.
Dann kamen wir am Veranstaltungsort an, ein riesiges Festzelt mit einer Menge Plastikstühlen und einer auffälligen Sitzordnung (systematisch, da ausschließlich männlich, besetzte ersten Reihen). Wir haben uns zu den CMM Arbeiterinnen gesetzt, die fast komplett anwesend waren, weil Jayamma Bandari, der Präsidentin der Organisation, im Laufe der Zeremonie zwei Awards verliehen wurden.
Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass
sie und einige der anderen Anwesenden Menschen sind, die sich sehr
verdient gemacht haben um den Kampf gegen AIDS, haben wir uns
zunehmend unangenehm berührt gefühlt, als mehr und mehr Leute Fotos
von uns schießen wollten, obwohl wir ja eigentlich nur relativ
unbeteiligte Anwesende waren.
Das ist hier jedoch ohnehin ein
ausgeprägtes Phänomen, ständig wollen wildfremde Menschen Fotos
mit uns machen, manche fotografieren uns im Vorbeigehen oder wollen
Fotos von uns neben einem Plakat ihrer Firma. Wer wir sind oder was
wir hier machen, das weiß keiner so richtig und das fragen auch nur
wenige nach. Dass wir nur zwei unerfahrene junge Mädchen aus
Deutschland sind ist aber auch völlig egal, für uns spricht unsere
Hautfarbe! Das war anfangs noch komisch, bald unangenehm und
mittlerweile nervt es mich richtig und macht mich fast wütend.
Natürlich liegt das daran, dass es
hier kaum Touristen gibt und wir immer und überall auffallen.
Dennoch muss ich mir immer wieder vorstellen, wie ich in Deutschland
einfach zu einem Inder renne und mich neben ihn stelle, um ein Foto
von ihm zu machen - lediglich, weil seine Hautfarbe so lustig ist.
Den Gipfel der Lächerlichkeit allerdings
erreichte das Ganze am Dienstag auf einer weiteren
Veranstaltung, die aber im Grunde sehr ähnlich ablief:
Das für unsere Augen merkwürdige
Programm bestand vor allem aus Schaustellern, die die Geschichte rund
um Aids in Tanz, Gesang und Spiel vortrugen (das wurde uns zumindest
gesagt, da es auf Telugu war, haben wir natürlich nichts
verstanden). Außerdem traten traditionelle Tänzerinnen auf, es gab
Schülerdarbietungen, einen rotbärtigen Zauberkünstler mit
beeindruckend unbeeindruckenden Tricks, einen Tänzer, der sicherlich
irgendwo auf Youtube bereits das Gespött Tausender ist, ein
indischer Justin Bieber, der eine Art Robotdance zum Besten gab.
Zwischendurch Reden und Witze.
Ausgetragen wurde das Ganze dieses mal
von World Vision, es ging um die Verabschiedung eines Gesetztes
bezüglich der Unterbindung der Diskriminierung HIV Positiver. Viel
mehr wussten wir tatsächlich auch gar nicht darüber, da uns erst
kurz vor Beginn gesagt worden war, dass wir überhaupt zu diesem
Event gehen würden.
Wir saßen jedenfalls friedlich in der
Menge, blöderweise schnell verlassen von Jaya Singh (der
Projektmanager, für uns zuständig und der einzige hier, der
wirklich Englisch spricht), weil der plötzlich dringend mit Jayamma
wegfahren musste.
Nach ein paar Stunden gähnender
Langeweile – das stundenlange Programm war auf Telugu und hatte uns
folglich auch nicht sehr geholfen, mehr über die Hintergründe der
Veranstaltung zu erfahren – deutete eine wichtige Person
(offensichtlich wichtig, da verspätet angefahren gekommen und unter
Applaus hereinspaziert) mit dem Finger auf uns. Daraufhin wurden wir
von einer der Organisatoren auf die Bühne gebeten. Die Menschen auf
der Bühne haben alle Reden gehalten, wohl über HIV, World Vision
und das zu verabschiedende Gesetz.
Die wichtige Person schließlich, die
nicht wusste, woher wir kamen oder was wir überhaupt in Indien
machen, hat uns herzlich dafür gedankt, dass wir der Veranstaltung
die Ehre erweisen, und uns am Ende allen Ernstes jeweils eine Plakette
als Auszeichnung für unser Engagement überreicht.
Dabei haben wir brav in die Kamera
gelächelt und unser Bestes gegeben, ob der Skurilität der ganzen
Szene nicht vor Lachen loszuprusten. Der wichtige Mann, ein
Unternehmer mit politischen Ambitionen, wie wir mittlerweile
herausgefunden hatten, entpuppte sich auch noch als großer Gönner,
als er mehreren Schulen jeweils einen Sack Reis von lächerlicher
Größe überreichte.
Anschließend wurden wir in einem sehr
bequemen Auto mit indischer Flagge in das luxeriöseste Haus
kutschiert, das wir hier bislang betreten haben. Dort wurde uns an
einem Besprechungstisch Kaffee serviert. Mit uns am Tisch saßen NGO
Leute und ein Italiener, der ebenfalls kein Telugu oder Hindi, aber
auch kein Englisch sprach. Offensichtlich war auch er nur dank seines
Exotikfaktors hier gelandet.
An der Wand erzählten ein
Flachbildschirm und ein Plakat von der Unternehmensgruppe, deren
Vorsitzender der wichtige Mann wohl war. Dabei muss es sich um eine
Art Immobilienunternehmen handeln, das sich irgendwie wohltätig
engagiert. Nebenbei scheint jener wichtige Mann aber auch einen
Ministerposten anzustreben.
Spätestens hier ist uns gedämmert,
was für eine merkwürdige Sache das da eigentlich war – irgendwie
sind wir von der Veranstaltung einer NGO in eine Art Wahlkampf gerutscht.
Das hat sich für den wichtigen Mann
sicher gelohnt, weil er ein paar Fotos von sich und nett lächelnden
Europäern bekommen hat. Und für uns hat es sich ja schließlich
auch irgendwie gelohnt, weil wir immerhin einen prächtigen goldenen
Kugelschreiber als Honorierung unserer „Arbeit“ geschenkt
bekommen haben.
Bevor wir das Gebäude verlassen haben,
wurden wir noch zu einer Liste geführt, in die man sich wohl mit
Unterschrift hätte eintragen sollen. Da sind wir dann doch lieber
auf schnellstem Wege gegangen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen