Samstag, 7. Dezember 2013

Das HIV-Monster





































Am 1. Dezember war World AIDS Day.
Uns war gesagt worden, wir würden an einer Rallye teilnehmen, die sich dann aber als eine Art Protestmarsch herausstellte. Eine Gruppe Aktivisten nahm uns schnell in ihre Mitte und hat uns medienwirksam direkt an ihrem Banner platziert. Ich habe zwar keine Ahnung, was wir im Chor geschrieen haben, aber ich bin mir sicher, ich habe nichts gesagt, was ich nicht auch auf Deutsch gerufen hätte. Für Prävention! Gegen Diskriminierung! Das müssten so ungefähr die Aussagen gewesen sein.

Dann kamen wir am Veranstaltungsort an, ein riesiges Festzelt mit einer Menge Plastikstühlen und einer auffälligen Sitzordnung (systematisch, da ausschließlich männlich, besetzte ersten Reihen). Wir haben uns zu den CMM Arbeiterinnen gesetzt, die fast komplett anwesend waren, weil Jayamma Bandari, der Präsidentin der Organisation, im Laufe der Zeremonie zwei Awards verliehen wurden.

Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass sie und einige der anderen Anwesenden Menschen sind, die sich sehr verdient gemacht haben um den Kampf gegen AIDS, haben wir uns zunehmend unangenehm berührt gefühlt, als mehr und mehr Leute Fotos von uns schießen wollten, obwohl wir ja eigentlich nur relativ unbeteiligte Anwesende waren.

Das ist hier jedoch ohnehin ein ausgeprägtes Phänomen, ständig wollen wildfremde Menschen Fotos mit uns machen, manche fotografieren uns im Vorbeigehen oder wollen Fotos von uns neben einem Plakat ihrer Firma. Wer wir sind oder was wir hier machen, das weiß keiner so richtig und das fragen auch nur wenige nach. Dass wir nur zwei unerfahrene junge Mädchen aus Deutschland sind ist aber auch völlig egal, für uns spricht unsere Hautfarbe! Das war anfangs noch komisch, bald unangenehm und mittlerweile nervt es mich richtig und macht mich fast wütend.

Natürlich liegt das daran, dass es hier kaum Touristen gibt und wir immer und überall auffallen. Dennoch muss ich mir immer wieder vorstellen, wie ich in Deutschland einfach zu einem Inder renne und mich neben ihn stelle, um ein Foto von ihm zu machen - lediglich, weil seine Hautfarbe so lustig ist.



Den Gipfel der Lächerlichkeit allerdings erreichte das Ganze am Dienstag auf einer weiteren Veranstaltung, die aber im Grunde sehr ähnlich ablief:
Das für unsere Augen merkwürdige Programm bestand vor allem aus Schaustellern, die die Geschichte rund um Aids in Tanz, Gesang und Spiel vortrugen (das wurde uns zumindest gesagt, da es auf Telugu war, haben wir natürlich nichts verstanden). Außerdem traten traditionelle Tänzerinnen auf, es gab Schülerdarbietungen, einen rotbärtigen Zauberkünstler mit beeindruckend unbeeindruckenden Tricks, einen Tänzer, der sicherlich irgendwo auf Youtube bereits das Gespött Tausender ist, ein indischer Justin Bieber, der eine Art Robotdance zum Besten gab. Zwischendurch Reden und Witze.

Ausgetragen wurde das Ganze dieses mal von World Vision, es ging um die Verabschiedung eines Gesetztes bezüglich der Unterbindung der Diskriminierung HIV Positiver. Viel mehr wussten wir tatsächlich auch gar nicht darüber, da uns erst kurz vor Beginn gesagt worden war, dass wir überhaupt zu diesem Event gehen würden.
Wir saßen jedenfalls friedlich in der Menge, blöderweise schnell verlassen von Jaya Singh (der Projektmanager, für uns zuständig und der einzige hier, der wirklich Englisch spricht), weil der plötzlich dringend mit Jayamma wegfahren musste.

Nach ein paar Stunden gähnender Langeweile – das stundenlange Programm war auf Telugu und hatte uns folglich auch nicht sehr geholfen, mehr über die Hintergründe der Veranstaltung zu erfahren – deutete eine wichtige Person (offensichtlich wichtig, da verspätet angefahren gekommen und unter Applaus hereinspaziert) mit dem Finger auf uns. Daraufhin wurden wir von einer der Organisatoren auf die Bühne gebeten. Die Menschen auf der Bühne haben alle Reden gehalten, wohl über HIV, World Vision und das zu verabschiedende Gesetz.

Die wichtige Person schließlich, die nicht wusste, woher wir kamen oder was wir überhaupt in Indien machen, hat uns herzlich dafür gedankt, dass wir der Veranstaltung die Ehre erweisen, und uns am Ende allen Ernstes jeweils eine Plakette als Auszeichnung für unser Engagement überreicht.

Dabei haben wir brav in die Kamera gelächelt und unser Bestes gegeben, ob der Skurilität der ganzen Szene nicht vor Lachen loszuprusten. Der wichtige Mann, ein Unternehmer mit politischen Ambitionen, wie wir mittlerweile herausgefunden hatten, entpuppte sich auch noch als großer Gönner, als er mehreren Schulen jeweils einen Sack Reis von lächerlicher Größe überreichte.

Anschließend wurden wir in einem sehr bequemen Auto mit indischer Flagge in das luxeriöseste Haus kutschiert, das wir hier bislang betreten haben. Dort wurde uns an einem Besprechungstisch Kaffee serviert. Mit uns am Tisch saßen NGO Leute und ein Italiener, der ebenfalls kein Telugu oder Hindi, aber auch kein Englisch sprach. Offensichtlich war auch er nur dank seines Exotikfaktors hier gelandet.
An der Wand erzählten ein Flachbildschirm und ein Plakat von der Unternehmensgruppe, deren Vorsitzender der wichtige Mann wohl war. Dabei muss es sich um eine Art Immobilienunternehmen handeln, das sich irgendwie wohltätig engagiert. Nebenbei scheint jener wichtige Mann aber auch einen Ministerposten anzustreben.

Spätestens hier ist uns gedämmert, was für eine merkwürdige Sache das da eigentlich war – irgendwie sind wir von der Veranstaltung einer NGO in eine Art Wahlkampf gerutscht.
Das hat sich für den wichtigen Mann sicher gelohnt, weil er ein paar Fotos von sich und nett lächelnden Europäern bekommen hat. Und für uns hat es sich ja schließlich auch irgendwie gelohnt, weil wir immerhin einen prächtigen goldenen Kugelschreiber als Honorierung unserer „Arbeit“ geschenkt bekommen haben.

Bevor wir das Gebäude verlassen haben, wurden wir noch zu einer Liste geführt, in die man sich wohl mit Unterschrift hätte eintragen sollen. Da sind wir dann doch lieber auf schnellstem Wege gegangen.

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