Samstag, 1. März 2014

Freihandelsabkommen

Ich schreibe aus Indien zu einem Thema, das mich seit einigen Wochen sehr beschäftig, gerade, weil es hier nicht relevant ist. Es geht um das Transatlantische Freihandelsabkommen, das sich mehr und mehr als bodenlose Frechheit entpuppt. Ich bin mir sicher, nicht die einzige zu sein, die das Thema in letzter Zeit umtreibt. Nun bin ich gerade aber in einem Land, das von den Verhandlungen nicht betroffen ist, ich weiß also nicht, wie all das in Deutschland und der EU momentan aufgenommen und diskutiert wird, von Zeitungsberichten einmal abgesehen. Deshalb habe ich das dringende Bedürfnis, meiner Wut Luft zu machen. Vielleicht seid ihr ja bereits gelangweilt von der ewigen Diskussion – wenn dem so ist, wunderbar, es ist nur zu wünschen, dass die Probleme jedem bewusst sind und sich hoffentlich auch Protest regt.

Denn die Verhandlungen verhöhnen jegliche Demokratie. Sie werden in einem winzigen Kreis geführt, der Entwurf für das Freihandelsabkommen der EU-Kommission wurde bislang geheim gehalten (hier jetzt veröffentlicht: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-02/freihandelsabkommen-eu-sonderrechte-konzerne). Hollande drängte in einem Gespräch mit Obama darauf, die Verhandlungen möglichst schnell zu beenden, bevor es noch zu Angst, Kritik und Protest von Seiten der Bevölkerung kommen könnte. Die Angst ist jedoch gerechtfertigt, Kritik dringend angebracht und Protest geboten. 


Das Abkommen soll eine Investitionsschutzklausel beinhalten, die es Konzernen ermöglicht, mit Hilfe von Schiedsgerichten Staaten zu verklagen, wenn diese sie nicht fair und gerecht behandeln. Das heißt jedoch im Klartext: Konzerne können Staaten auf Schadenersatzzahlungen verklagen, wenn sie Gesetze und Regulierungen verabschieden, die die Konzerne und ihre Gewinne einschränken. Genau diese Regulierungen dienen aber häufig dem Verbraucher- und Umweltschutz.
Da tagen dann also ein paar Schiedsrichter, selbst gewählt von den Streitparteien, und knobeln unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Urteil aus. Die Verlierer stehen so eigentlich im Voraus fest.

Voraussetzung für einen freien Handel sind gleiche Standards auf beiden Seiten. Nun haben wir in Deutschland und in der EU das Glück, relativ hohe Standards zu genießen, was Verbraucher- und Umweltschutz angeht. Das wird mir besonders hier in Indien jeden Tag aufs Neue klar. Es ist jedoch offensichtlich, dass Standards leichter gesenkt als erhöht werden. Konsequenz für uns kann dann Genfood und anderweitig behandeltes Essen („Chlorhühnchen“) in den Läden sein oder die Zulassung von Fracking und schädlichen Chemikalien.

All das lässt sich nicht ausprobieren und dann wieder rückgängig machen – weder das Abkommen, zu dessen Änderung alle Vertragspartner zustimmen müssten, noch die daraus folgenden Konsequenzen. Wenn wir einmal Genmanipuliertes auf den Feldern haben, wird der herkömmliche Anbau bald nicht mehr möglich sein. Die Folgen, die sich aber daraus für unsere Gesundheit und unsere Umwelt ergeben werden, sind nicht absehbar.

Der tatsächliche wirtschaftliche Nutzen des TTIP ist ein Witz: 0,5% Wirtschaftswachstum in 10 Jahren? Selbst diejenigen, die mit dem Verfassen der Studie beauftragt wurden, geben zu, dass der Nutzen verschwindend gering ist. Dennoch werden uns die Zahlen als großes Geschenk verkauft. Hohe Zölle gibt es ohnehin nicht, lediglich diese zu beseitigen würde also kaum einem Unternehmen irgendeinen Mehrwert bringen. Worauf die Konzerne spekulieren, ist die Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse, also eben jener Regulierungen, die manchmal die nationale Wirtschaft stärken sollen, oftmals aber auch dem Schutz der Verbraucher dienen.

Mich empört, wie wir, die Verbraucher, so völlig außer Acht gelassen werden können bei Verhandlungen um ein Abkommen, das unseren Lebensstandard signifikant verändern kann. „Die Verhandlungen dürfen ferner nicht zu früh von wirtschaftsfremden Themen, wie z. B. von sozialen
und ökologischen Belangen sowie vom Verbraucherschutz, überlagert werden“, fordert die Industrie- und Handelskammer Bayern. Es ist kein Geheimnis, dass Politik mehr für die Lobbys als für die „normalen“ Menschen gemacht wird. Dass das aber auch laut ausgesprochen werden kann, finde ich unfassbar.

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