Dienstag, 13. Mai 2014

Veg / Non-Veg


Wäre ich nicht bereits Vegetarierin gewesen, so wäre ich es spätestens in Indien geworden. Tatsächlich hört ein Großteil der Freiwilligen hier damit auf, Fleisch zu essen, zumindest für die Zeit in Indien. Zum einen liegt das daran, dass hier offen auf der Straße gezeigt wird, was die meisten lieber nicht sehen würden: Zerfledderte, zusammengepferchte Hühner, die man lebendig oder frischgeschlachtet einpacken kann, bunt eingefärbte Küken (erst zum Spielen für die Kinder, dann für den Kochtopf), die sich in den engen Käfigen gegenseitig zertrampeln und dann im nächsten Straßengraben entsorgt werden, halbe Ziegen, die bei 40°C in der Sonne hängen, und überall tummeln sich die Fliegen. Mir wird jedesmal schlecht von dem süßlich modrigen Fleischgeruch, wenn ich an einer der Schlachtereien vorbei gehe, und von dem Gedanken an die Hygienestandards sowieso. Verdauungsprobleme sind hier für sensible Mägen fast vorprogrammiert, mit Fleisch auf dem Speiseplan erhöht man das Risiko noch um ein Vielfaches.

Dabei ist Indien für Vegetarier ohnehin ein kulinarisches Paradies. Nach fleischlosen Alternativen im Menü muss man nicht lange suchen, im Gegenteil, Restaurants und Imbissstände, die Fleisch auf der Karte stehen haben, sind eher in der Unterzahl und meist sogar durch ein großes „Non-Veg“ am Eingangsschild gekennzeichnet. „Veg“ ist hier nämlich die Regel und nicht die Ausnahme. Der durchschnittliche Fleischkonsum beträgt in Indien nur einen Bruchteil von den Mengen an Fleisch, die in Deutschland jährlich vertilgt werden. Das lässt sich natürlich nicht nur durch den hohen Vegetarieranteil in der Gesellschaft, nämlich immerhin 30-40%, erklären, sondern hängt auch damit zusammen, dass sich viele ärmere Leute nur selten oder gar kein Fleisch leisten können. Vor allem viele strenggläubige Hindus verzichten aber vollständig auf Fleisch und manchmal auch auf Eier. Das geht mit dem Ideal des Gewaltverzichts einher und mit dem Glauben an die Reinkarnation. Wenn Fleisch gegessen wird, dann übrigens meistens Huhn oder Ziege. Die Kuh ist den meisten Indern heilig und darf nicht gegessen werden. Kühe, die keine Milch mehr geben, werden deshalb oft einfach freigelassen und streunen dann in den Straßen umher.
Gesundheitliche oder gar ökologische Gründe für den Fleischverzicht sind den meisten Leuten aber fremd; Vegetarier zu sein ist meist keine Entscheidung sondern eine Tradition. Während vor allem die ältere Generation also noch an der fleischlosen Ernährung festhält, essen viele jüngere Inder, sobald sie aus dem Haus sind, gerne und viel "Non-Veg", allen Gruselgeschichten von Rattenfleisch im Hühnchen-Curry zum Trotz.

Südindien

Hampi

 

  Der Lärm, der Dreck, das Chaos und die unmittelbare Konfrontation mit bitterer Armut, die in Indien vor allem in den Städten allgegenwärtig sind, kosten Kraft und stoßen mich selbst nach einem halben Jahr in Hyderabad immer noch und immer wieder vor den Kopf.
Bei der Ankunft in Mumbai ist das erste, das man sieht, der Slum, der das Flughafengelände umgiebt. Einladend für Urlauber ist das natürlich nicht.
Sich deshalb davon abschrecken zu lassen, nach Indien zu kommen, wäre jedoch schade. Denn auch wenn man die Augen vor den Schattenseiten nicht verschließen kann und darf, dürfte man in kaum einem Land so wunderschön, vielfältig und spannend reisen können. 
Hochmoderne Stadtviertel in Megastädten, Bilderbuchbasare, kleine Dörfer, traumhafte Strände, wunderschöne Berge mit idyllischen Teeplantagen, unberührte Wälder und Natur, Wüste, beeindruckende Felsenlandschaften, historische, kulturelle und architektonische Schätze en masse – in Indien gibt es nichts, das es nicht gibt.
Das kann ich bereits sagen, obwohl ich noch nicht nördlicher als bis Nagpur gekommen bin, die Stadt, die die geographische Mitte Indiens kennzeichnet.

Mit zwei anderen Freiwilligen habe ich meine Reise in Hampi in Karnataka begonnen, über Tamil Nadu ging es nach Kerala und zu guter Letzt bin ich auf den Andamanen gelandet. Ich könnte nicht sagen, wo es mir am besten gefallen hat.
Ein ebenso tolles Erlebnis wie das Erkunden der unterschiedlichsten Orte war für mich aber oft auch das Reisen selbst.

Die gut ausgebaute Infrastruktur macht es sehr einfach, von A nach B zu kommen. Zwar dauern die Zugfahrten oft dreimal so lang, wie man für die gleiche Strecke in Deutschland einplanen würde, dafür macht das Reisen aber auch ungleich mehr Spaß: Am liebsten über Nacht im Sleeperabteil, bei offenen Fenstern und Türen, mit einem Fahrtwind, der die Klimaanlagen überflüssig macht.
So lange es noch hell ist, kann man die Zeit wunderbar damit verbringen, zu lesen, die vorbeiziehende Landschaft zu bewundern oder das brennenden Interesse seiner Sitznachbarn an Erzählungen über Deutschland zu befriedigen.
In Bauchläden werden Snacks und allerhand Ramsch feilgeboten und die Teeverkäufer ersetzen morgens den Wecker. Jeder Verkäufer hat seinen eigenen Sing-Sang, und der Chor aus „Chaaaaaiiii! Chaaaaaiiii!“ - Rufen ist für mich die Melodie des Zugfahrens geworden.

Man hört es meiner Beschreibung vielleicht an: Ich liebe Zugfahren. Das geht durchaus nicht jedem so und natürlich kann die Enge, der Trubel und manche Aufdringlichkeit den Aufenthalt im meist überfüllten Schlafwagen schnell auch anstrengend machen. Dennoch würde ich eine Zugfahrt immer den etwas teureren und komfortableren Fernbussen vorziehen.

Hampi


Hampi

Vattakanal

Vattakanal

Bei Munnar

Alappuzha

Alappuzha

Alappuzha




























































































































































































  Wir sind nicht zur Hauptsaison gereist. Das hat uns zwar ein paar Regenstunden in Kerala und allgemein hohe Temperaturen beschert, dafür hat unsere Reise wahrhaftig das Attribut Low-Budget verdient. Leckeres Essen und akzeptable Unterkünfte direkt am Strand bekommt man für umgerechnet ein paar Euro. Das zieht viele Backpacker an, die mit wenig Geld reisen. So ist zum Beispiel eine der Uferseiten Hampis, einem Ort berühmt für seine Tempelruinen, völlig in den Händen junger Rucksackreisender. Es variiert jedoch sehr stark, ob man in einer Gegend mehr Backpacker oder Pauschaltouristen findet, indische oder internationale Urlauber. Alleine ist man in Indien sowieso nie.

Die Ausnahme waren hier die Andamanen, wo wir oft den ganzen Strand für uns alleine hatten.
Seit ich das erste Mal von den Inseln gehört hatte, war ich eingenommen von der Idee, meinem Aufenhalt in Rest-Indien einen Besuch auf diesen Inseln entgegenzusetzen, die nicht nur geographisch gesehen eigentlich kaum mehr zu Indien gezählt werden können, sondern auch durch ihre Ruhe und Unerschlossenheit hervorstechen. Nicht alle Teile der Inselgruppe sind uneingeschränkt für Besucher zugänglich, die Nikobaren etwa, auf denen die indigene Bevölkerung deshalb noch weitgehend ungestört leben kann, dürfen von Touristen überhaupt nicht betreten werden. Die anderen Inseln haben aber ohnehin genug an paradiesischer Schönheit zu bieten. Ein Plastiktütenverbot und vielleicht auch eine gewisse Ehrfurcht vor den weißen, von Palmenwäldern und Mangroven gerahmten Stränden, haben es bislang noch geschafft, die Verselbstständigung der Mülldeponien, die man sonst überall in Indien findet, zu verhindern. Der Geruch von brennenden Müllbergen und die Selbstverständlichkeit, mit der jeglicher Abfall in Ermangelung von Mülleimern und Umweltbewusstsein einfach fallen gelassen wird, nehmen Straßen, Strände und Natur sonst leider fast überall in Indien ein.

Nun bin ich schon seit einer Weile wieder zurück und die Umstellung von wunderschönen Landschaften zum mittelmäßig attraktiven aber überdurchschnittlich schmutzigen Stadtbild Hyderabads und von der Freiheit beim Reisen zum normalen Arbeitsalltag ist mir nicht ganz leicht gefallen. 

Ich wäre gerne noch ewig weitergereist - ich habe ja auch bei Weitem nicht alles gesehen.
Vor allem der komplette Norden fehlt mir noch zu einem umfassenderen Überblick von Indien. Denn wenn ich daran denke, wie schnell sich die Kultur, die Landschaften und Religionen mit der zurückgelegten Kilometerzahl selbst innerhalb der südlichen Staaten verändert, dann merke ich, wie wenig ich doch eigentlich immer noch von diesem riesigen Land kenne.
In der knappen Zeit und den noch knapperen Urlaubstagen, die mir noch bleiben, werde ich das auch sicher nicht mehr ändern können.

Dafür weiß ich aber, dass ich unbedingt in ein, zwei Jahren wieder nach Indien kommen will, um all die Orte zu sehen, die ich bisher nur aus schwärmerischen Erzählungen anderer Reisender kenne.

Andamanen

Andamanen

Andamanen
Andamanen