Wäre ich nicht bereits Vegetarierin
gewesen, so wäre ich es spätestens in Indien geworden. Tatsächlich
hört ein Großteil der Freiwilligen hier damit auf, Fleisch zu
essen, zumindest für die Zeit in Indien. Zum einen liegt das daran,
dass hier offen auf der Straße gezeigt wird, was die meisten lieber
nicht sehen würden: Zerfledderte, zusammengepferchte Hühner, die
man lebendig oder frischgeschlachtet einpacken kann, bunt eingefärbte
Küken (erst zum Spielen für die Kinder, dann für den Kochtopf),
die sich in den engen Käfigen gegenseitig zertrampeln und dann im
nächsten Straßengraben entsorgt werden, halbe Ziegen, die bei 40°C
in der Sonne hängen, und überall tummeln sich die Fliegen. Mir wird
jedesmal schlecht von dem süßlich modrigen Fleischgeruch, wenn ich
an einer der Schlachtereien vorbei gehe, und von dem Gedanken an die
Hygienestandards sowieso. Verdauungsprobleme sind hier für sensible
Mägen fast vorprogrammiert, mit Fleisch auf dem Speiseplan erhöht
man das Risiko noch um ein Vielfaches.
Dabei ist Indien für Vegetarier
ohnehin ein kulinarisches Paradies. Nach fleischlosen Alternativen im
Menü muss man nicht lange suchen, im Gegenteil, Restaurants und
Imbissstände, die Fleisch auf der Karte stehen haben, sind eher in
der Unterzahl und meist sogar durch ein großes „Non-Veg“ am
Eingangsschild gekennzeichnet. „Veg“ ist hier nämlich die Regel
und nicht die Ausnahme. Der durchschnittliche Fleischkonsum beträgt
in Indien nur einen Bruchteil von den Mengen an Fleisch, die in
Deutschland jährlich vertilgt werden. Das lässt sich natürlich
nicht nur durch den hohen Vegetarieranteil in der Gesellschaft,
nämlich immerhin 30-40%, erklären, sondern hängt auch damit
zusammen, dass sich viele ärmere Leute nur selten oder gar kein
Fleisch leisten können. Vor allem viele strenggläubige Hindus
verzichten aber vollständig auf Fleisch und manchmal auch auf Eier.
Das geht mit dem Ideal des Gewaltverzichts einher und mit dem
Glauben an die Reinkarnation. Wenn Fleisch gegessen wird, dann
übrigens meistens Huhn oder Ziege. Die Kuh ist den meisten Indern
heilig und darf nicht gegessen werden. Kühe, die keine Milch mehr
geben, werden deshalb oft einfach freigelassen und streunen dann in
den Straßen umher.
Gesundheitliche oder gar ökologische Gründe für den Fleischverzicht sind den meisten Leuten aber fremd;
Vegetarier zu sein ist meist keine Entscheidung sondern eine
Tradition. Während vor allem die ältere Generation also noch an der fleischlosen Ernährung festhält, essen
viele jüngere Inder, sobald sie aus dem Haus sind, gerne und viel "Non-Veg", allen Gruselgeschichten von Rattenfleisch im Hühnchen-Curry zum Trotz.
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