Donnerstag, 20. Februar 2014

Hindustan

Vor ein paar Tagen sind wir, wie so oft, mit unserer Horde Kinder in den Park gegangen. Auf dem Weg sprach mich ein älterer Herr an und fragte, was das für Kinder seien und was wir mit ihnen zu tun hätten. Ich habe ihm erklärt, dass es Waisen sind und wir eben als Freiwillige auf sie aufpassen. Der Mann meinte dann mit einem fast aggressiven Unterton: „You can take care of them, but don't convert them into Christians!“ Ich habe darauf verzichtet, ihm auf die Nase zu binden, dass die Mädchen alle schon überzeugte Christen sind und wir vielmehr manchmal nicht wissen, wie wir mit ihrem, in unseren Augen extremen und naiven, Glauben umgehen sollen.
Wenn ein Mädchen seine besten Freunde aufzählt, kann man sicher sein, dass Jesus ganz vorne mit dabei ist. Kinderlieder, die ich in religiös neutralen Versionen kenne, klingen im Chaithanya-Happy-Home-Style oft anders: Aus „I like the flowers, ...“ wird hier „I like the Jesus...“; an „Head, shoulders, knees and toes“ wird „...all belongs to Jesus“ angehängt. Mein persönliches Lieblingslied hat den einprägsamen Text: „When I look to my right, I see Jesus calling, when I look to my left, I see Satan falling – Jesus super super power, Satan zero zero power!“ Für meine Ohren klingt das recht schräg. Vor dem Essen wird gebetet, sonntags gehen die Kinder alleine in die Kirche, das ist für sie schon völlig selbstverständlich. Auf der einen Seite gibt ihnen das einen Halt, den sie natürlich dankbar annehmen. Auf der anderen Seite finde ich es kritisch, dass die Kinder, deren Mütter allesamt Hindus waren, hier so kategorische Christen sind, dass sie uns schon einmal mit vielsagendem Blick zuraunen „He's a muslim!“.
Dabei ist CMM keine christliche Organisation. Jaya Singh, der Projektmanager, ist zwar Christ, Jayamma, die Präsidentin und fast alle Angestellten sind jedoch Hindus – wie immerhin 80% aller Inder. Die nächstgrößte Gruppe bilden die Muslime, die gerade in Hyderabad sehr zahlreich vertreten sind. Ganz egal, welcher Religion man aber angehört, sie spielt eine große Rolle im Alltag. Aber auch wenn wir dem Hinduismus also wohin wir auch gehen ständig über den Weg laufen und ich mein Bestes gebe, in dem Geflecht an Göttern, Glaubensrichtungen und Traditionen durchzublicken, so bleibt mir vieles doch ein Rätsel.

Sarasvati, Göttin der Weisheit und Gelehrsamkeit, als Statue im Schulhof einer staatlichen Schule.




Ein buntes Schiffchen, wohl eine Opfergabe, treibt auf einem, dem Gott Krishna geweihten, Fluss.



Die Blumenketten werden an jeder Straßenecke geknüpft und verkauft, sie dienen als eine Art Opfergabe und schmücken wie hier Tempel, Türen, Statuen, Bilder, Altäre, Autos.


Solche Rangolis findet man fast vor jedem Haus. Sie müssen täglich erneuert werden, da sie traditionell mit Reismehl aufgetragen werden. Das war ursprünglich ein Zeichen des Respekts vor selbst den kleinsten Lebewesen, denen man damit eine Mahlzeit beschaffte. Auch mit Kreide gemalt sehen sie aber sehr hübsch aus. Meist sind sie weiß, zu Pongal aber, dem südindischen Erntedankfest, haben sich viele Leute besonders viel Mühe gegeben.

Der geräuschvolle Einzug in ein Gebäude nahe unserer Straße. Welchem Anlaß das Spektakel aus Tanz, Gesang, Krach, Feuer und mysteriösen Tonbehältern galt, konnte ich leider nicht herausfinden. Solche oder ähnliche Versammlungen konnten wir schon öfter beobachten, teilweise gleichen sie Karnevalsumzügen mit großen Wägen, von denen aus süßer Reis verteilt wird. Außerdem übrigens das einzige Mal, dass ich Männer Gefäße auf dem Kopf transportieren gesehen habe. Überhaupt sind Frauen selten unmittelbar dabei, wenn es um solche Zeremonien geht.


Ein kleiner Hausaltar, wie man ihn hier in fast jedem hinduistischen Haushalt und auch in vielen Läden findet. Dieser hier steht in einem Haus in einem kleinen Dorf, das wir besucht haben. Zur Begrüßung wurde uns nicht nur, wie es ein traditionelles Willkommensritual ist, mit farbigem Pulver ein Fleck auf die Stirn gemacht. Wir durften zudem auch eine Handvoll ehemaliger Opfergaben essen: Eine Mischung aus Zucker, Reismehl und den zerkleinerten Kokosnüssen.



Ein Haufen geopfterter Kokosnüsse. Ich war mir anfangs nicht sicher, ob es ernst gemeint war, als ich bei einem Tempelbesuch dazu aufgefordert wurde, mir das Wasser einer aufgeschlagenen Kokosnuss über den Kopf zu gießen.



Hier feiert ein Dorf die Hochzeit von zwei Göttern, ich meine es sind Vishnu und Lakshmi. Der ganze Ort gleicht einem einzigen Volksfest.






In einer stundenlangen Zeremonie werden die Figuren der Götter vermählt, mit all den Riten, die man auch auf einer „echten“ Hochzeit finden würde. Da wird mit Farbpulvern geworfen, mit Reis bestreut, Früchte dargebracht, Substanzen verbrannt, Feuerchen geschwenkt – all das begleitet von leiernden Worten und schräger Musik. Der Hinduismus ist eine Religion der Rituale, die für eine Außenstehende wie mich schwer zu durchschauen sind.



Rätsel 1: Worin könnte die Sitzordnung im Zuschauerzelt bestehen?
Rätsel 2: Wer waren die einzigen Frauen auf dem Fest, denen mit Nachdruck Stühle unter den Hintern geschoben wurden? Ich frage mich oft, was mehr zählt, weiß zu sein oder eine Frau. Auf solchen Veranstaltungen ist es erstere, in der Schlange im Supermarkt zweitere Eigenschaft, der entsprechend wir behandelt werden.




Götterstatuen mit Opfergaben im Inneren eines Tempels. Ich wurde ausdrücklich dazu aufgefordert, zu fotografieren, sonst hätte ich das natürlich nie gewagt, grundsätzlich ist das nämlich eher ein Tabu. Und die breche ich ohnehin gerne – bei meinem ersten Tempelbesuch habe ich eine Art heilige Altarschaukel mit der linken, der unreinen Hand berührt. Die bösen Blicke, die ich mir dafür eingefangen habe, kann man sich leicht vorstellen.

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