Donnerstag, 23. Januar 2014

Fallstudien





 Wir schreiben eine Reizwortgeschichte!
Thema „Ein Mädchen des Chaithanya Happy Home und sein Hintergrund“
Verwende folgende Begriffe: Armut, abhängig, Gewalt, zwingen, ausweglos.
Der Schauplatz sei die Straße, der Antagonist ein Mann.

Oben genannte Wörter sind die traurigen Konstanten in den Geschichten nahezu aller Mädchen. Es sind meist die gleichen Schicksalsschläge und Lebensbedingungen, die ihre Mütter in die Prostitution trieben. Die Geschichte von der achtjährigen Suma und ihrer Mutter Sita könnte zum Beispiel so klingen:

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Mitten in Indien. Ein kleines, beschauliches Dorf. Eine junge, hübsche Frau steht vor einer Hütte und wäscht ihren Sari. Sie lächelt und guckt verträumt. Sita denkt an den Mann, den sie liebt.
Morgen soll ihre Hochzeit sein, ein großes Fest für die bescheidenen Verhältnisse, in denen sie lebt. Der Mann, mit dem sie den Bund fürs Leben schließen wird, ist jedoch ein anderer, viele Jahre älter als sie selbst. Ihre Eltern haben ihn für sie ausgesucht, sie selbst hat ihn erst zweimal gesehen. Ein Schatten huscht über ihr Gesicht und die verliebten Augen werden ernst. Wie viel lieber würde sie den anderen heiraten! Doch ihren Gefühlen zu folgen, hieße, mit der Familie zu brechen.

So geht sie am nächsten Tag nach der Hochzeit mit einem Fremden nach Hause, dem sie von nun an eine liebende Gattin sein soll.
Wie sich das gehört dauert es auch nicht lange, bis Sita schwanger wird.

10 Monate später. Sita steht am Herd und kocht, gleich wird ihr Mann nach Hause kommen, hungrig und ungeduldig, bis dahin muss alles fertig sein. Im Hintergrund schreit das Baby. Es ist ein Junge, den Göttern sei Dank! Aber es ist mehr als der Alltag einer Hausfrau und Mutter, der auf Sita lastet und ihre Augenringe in die Tiefe zieht. Sie lebt in der ständigen Angst, dass ihr Geheimnis auffliegen könnte, denn die Beziehung zu dem jungen Mann, den sie liebt, hat nie aufgehört. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Affäre ans Licht kommt!

Eines Tages kann Sita ihre unglückliche Situation nicht mehr ertragen. Sie brennt mit ihrem Geliebten durch und lässt alles hinter sich: Den Mann, den sie nie liebte, die Eltern, die sie nie verstehen werden, das Dorf, in dem sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hat – und ihren Sohn.

Doch die große Stadt, in der sie nun lebt, wird schnell zur Hölle für Sita. Der Mann, von dem sie dachte, er würde sie glücklich machen, zwingt sie, sich zu prostituieren und verkauft sie schließlich an ein Bordell. Dort lebt Sita wie eine Gefangene, eine von vielen Sexsklavinnen.
Sie wird misshandelt und missbraucht – und kurz darauf schwanger. Rücksicht wird darauf nicht genommen, die Qualen gehen weiter. Mit der Hilfe einer der anderen Prostituierten gelingt Sita die Flucht – gerade rechtzeitig, um ein Krankenhaus zu finden. Es ist ein Wunder, dass das Kind gesund auf die Welt kommt – wenn auch viel zu früh. Suma ist eine Frühgeburt.

Aus Angst vor dem mächtigen Netzwerk der Zuhälter hält Sita sich mit ihrer neugeborenen Tochter lange Zeit versteckt. Dann trifft sie einen neuen Mann. Die Gewalt nimmt jedoch kein Ende, viele Schläge später verlässt sie ihn. So gerät sie immer wieder an neue Männer, mit denen sie eine Zeit lang zusammenlebt. Alle sind sie gewalttätig und leben von dem Geld, das Sita anschafft. Denn Sita arbeitet wieder als Prostituierte – eine andere Möglichkeit, ihr Überleben zu sichern, hat sie nicht.

Soweit also eine der typischen Lebensgeschichten, die wir den Unterlagen der Mädchen entnehmen können. Diese hier hat jedoch eine Besonderheit, nämlich so etwas wie ein Happy End:

Eines Tages trifft Sita beim Arbeiten auf der Straße eine ehemalige Prostituierte, die die Sexarbeit mit Hilfe von CMM hinter sich lassen konnte und nun selbst für die Organisation arbeitet. So kommt sie in Kontakt mit Chaithanya Mahila Mandali. Mit der Unterstützung der CMM-Leute kann sie das Leben als Prostituierte hinter sich lassen und ebenfalls als „Outreach-Worker“ für jene Frauen da sein, die noch in den Händen der Sexindustrie sind.
Weil sie jedoch noch immer in einem Milieu lebt, das von Gewalt, Armut und Kriminalität geprägt ist, gibt sie ihre Tochter Suma in die Obhut von CMM. Mit der Organisation im Rücken kann sie außerdem endlich ihren Sohn, den sie im Dorf zurücklassen musste, zu sich nach Hyderabad holen. Dort ist er nun sicher untergebracht in einem Waisenhaus für Jungen.

Suma lebt nun seit zwei Jahren im Chaithanya Happy Home und ist eines der wenigen Mädchen, das seine Mutter noch hin und wieder zu Gesicht bekommt. Trotzdem oder gerade deshalb weint sie abends oft. Mit ihren acht Jahren wiegt für sie die Trennung von ihrer Mutter noch schwerer als eine kindgerechte Umgebung, eine gute Schulbildung und eine sichere Zukunft.






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